19.12.2024 In: Strafrecht

Landgericht Berlin hält EncroChat-Daten für unverwertbar und spricht Angeklagten wegen BtM-Handels frei

Die 25. Strafkammer des Landgerichts Berlin hat sich in monatelanger Hauptverhandlung mit den Fragen der genauen technischen und verfahrensrechtlichen Vorgehensweise bei der Gewinnung der EncroChat-Daten befasst. Am Ende konnte sie keine Überzeugung gewinnen, dass in rechtsstaatsgemäßer Weise in hiesigen Strafverfahren Verwendung finden dürfen und sprach den Angeklagten vom Vorwurf des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in allen Punkten frei.  

Aus der mündlichen Urteilsbegründung der Richterin Klimke in der Sache 525 KLs 8/22, 279 Js 30/22 am 19.12.2024: 

Der Angeklagte wurde freigesprochen von dem Vorwurf, im Frühjahr 2020 umfangreich mit Betäubungsmitteln gehandelt zu haben.

Grundlage der Anklage waren ausschließlich von im Auftrag französischer Behörden abgefangene EncroChat-Mitteilungen, die von den französischen Behörden an die deutschen Polizeibehörden Frühjahr 2020 geliefert worden sind. Das Gericht hat sich ausführlich mit der Erhebung der Daten und dem zugrunde liegenden formellen Verfahren befasst und kam zu dem Schluss, dass die EncroChat-Daten unverwertbar sind. 

Die Vorsitzende Richterin führte aus, dass der von den Instanzgerichten und dem Bundesgerichtshof bisher angelegte Maßstab des Grundsatzes des wechselseitigen Vertrauens in die Maßnahme des europäischen Vertragspartners, hier also Vertrauen der deutschen Strafverfolgungsbehörden in die französischen Strafverfolgungsbehörden nur bedeutet, dass die Maßnahme in Frankreich auch von der deutsche Seite nach französischem Recht für zulässig zu halten und nicht weiter zu prüfen ist, nicht aber dass das Vertrauen in die Verwertbarkeit in Deutschland geschützt wird.

 Vielmehr ist vom deutschen Gericht zu prüfen, ob eine derartige Maßnahme nach deutschem Recht zulässig gewesen wäre. Dazu hat sie ausgeführt, dass nach den einschlägigen Vorschriften §§ 100a, 100b StPO eine vergleichbare Maßnahme in Deutschland nicht zulässig gewesen wäre, weil der vorliegende Tatverdacht zu schwach war, um eine solche Maßnahme anzuordnen. Dabei müsse davon ausgegangen werden, dass die Eingriffsvoraussetzung für eine entsprechende Maßnahme in Deutschland andere seien als in Frankreich, und dass der Grundsatz der europäischen Zusammenarbeit nicht eine Rechtsangleichung der jeweiligen Angriffsmöglichkeiten der nationalen Strafverfolgungsbehörden bezweckt, sondern nur die Zusammenarbeit im Rahmen der an unterschiedlichen nationalstaatlich geregelten Wertsystemen des Grundrechtsschutz der Bürger zu messenden Strafverfolgungsmaßnahmen ermöglicht werden soll.

 Sie hat ergänzend ausgeführt, dass in der bisherigen Rechtsprechung der deutschen Gerichte die Bedeutung des Urteils des europäischen Gerichtshofes verkannt worden wäre, weil das Fazit, dass die Staatsanwaltschaft in Deutschland entsprechende Daten anfordern durfte, nicht bedeutet, dass sie sie die auch verwerten durfte. Das sei lediglich eine Zuständigkeitsaussage des EuGH, nicht aber eine Ermächtigungsaussage. Wenn man den Beschluss des EuGH gewissenhaft lese, stelle man fest, dass in ihm zahlreiche Anhaltspunkte dafür gegeben seien, dass letztlich die Frage der Verwertbarkeit dort nicht abschließend geklärt worden sei.  Das Landgericht gehe davon aus, dass die Formulierung einer Entscheidung des EuGH der kleinste gemeinsame Nenner der vielen Richter aus unterschiedlichen Rechtskulturen sei. 

Die Maßnahme selbst hat sie so beschrieben: Es war ein länger geplantes europäisches Projekt, das die Franzosen auch in den verschiedenen Vertragsstaaten im Vorhinein bekannt gemacht haben, und welches sie mit hohem technischen Aufwand betrieben habe, das nicht allein wegen der Überprüfung von 300 französischen EncroChat Nutzern, sondern tatsächlich darüber hinausgehend gegen die gesamten europäischen Nutzer geführt worden sei. Das sei auch zwischen den verschiedenen beteiligten Staaten im Vorhinein abgestimmt worden. In Deutschland sei die Maßnahme, soweit sie sich auf deutsche Telefone bezog, auch vorab genehmigt worden, allerdings nicht von der Staatsanwaltschaft, sondern von der Polizei, auf die die Staatsanwaltschaft die Genehmigung abgewälzt hat.

Es sei der Kammer nicht gelungen, die Kommunikation zwischen der Polizei und den französischen Behörden vollständig aufzuklären, weil diese nicht offengelegt worden seien. Anschließend seien Daten zur polizeilichen Gefahrenabwehr geliefert worden, die Generalstaatsanwaltschaft F/M habe ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt eingeleitet und im Rahmen der Europäischen Ermittlungsanordnung die Genehmigung zur Nutzung der gelieferten Daten zur Strafverfolgung eingeholt. In der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte habe die Kammer Angaben zu der Art und Weise der Datenabschöpfung ebenso wenig finden können wie über die weitere Kommunikation zwischen den Polizeibehörden.

 Gemessen am Wertesystem des deutschen Rechtes habe die Kammer nicht feststellen können, dass sie die Daten verwerten durfte.

 Die Vorsitzende bedankte sich bei dem Verteidiger des Angeklagten, dem Berliner Strafverteidiger Stefan Conen dafür, dass er die Vorlage der zu Grunde liegenden europäischen Rechtsfragen an den EuGH angeregt hat. Sie kündigte an, in dem schriftlichen Urteil wegen der Bedeutung dieser Feststellungen für die Frage der Verwertbarkeit die tatsächlichen Feststellungen zur Gewinnung der Daten von Frankreich aus wie zum Austausch der Daten mit den deutschen Behörden sowie die gutachterlichen Aussagen zu dem möglicherweise eingesetzten Datenabfangsystem darzulegen. 

 Sie wies darauf hin, dass die Daten nicht vom Zentralserver von EncroChat, sondern von den in Deutschland betriebenen Endgeräten vor der Verschlüsselung ausgeleitet worden sind. Dies sei ebenso wie die genaue Art und Weise der Datenabschöpfung für die Frage der Eingriffsermächtigung erheblich.

 RA Eisenberg 19.12.2024